Eine Kritik von purgatorio (Bewertung des Films: 9 / 10) eingetragen am 09.04.2014, seitdem 564 Mal gelesen
DIE VERACHTUNG (LE MÉPRIS, Frankreich, Italien 1963, Regie: Jean-Luc Godard)
„miserable Zeiten für den italienischen Film“
Jean-Luc Godard bezieht mit DIE VERACHTUNG metaphorisch Stellung zum geliebten Filmkunstwerk. Er verschlüsselt durchschaubar und doch komplex, erzählt ebenso schlicht wie verworren, hält dem Künstler und dem Hollywood-Kino den Spiegel vor und fragt letztlich auch den Rezipienten des Films, ob er das Denken (wohlwollend durch die wunderschöne Frau voller sinnlicher Leidenschaft symbolisiert) zu Gunsten des Entertainments aufgeben möchte. Die Reaktion der hohen Kunst auf diesen Gedankengang ist eindeutig: pure Verachtung! Allein, dass die Option in Betracht gezogen wird, ist den Abbruch aller Leidenschaften wert. Und letztlich wird auch der Blick auf den Regisseur geworfen, der zwischen den Mühlen zerrieben final einsam seinem Handwerk nachgeht. Gedankenverloren der Blick auf das weite Meer vor Capri – Ende.
Die erzählte Geschichte ist dabei schlicht und lenkt kaum von der eigentlichen Absicht des Films ab (man möchte meinen, dass dem genügsamen Zuschauer auch ausreichend Zeit bei schwelgerischen Kamerafahrten gegeben wird, um die Metaebene und die symbolischen Figuren zu dekodieren):
Dem Produzenten Jeremy Prokosch (Jack Palance) ist das bisherige Ergebnis der ODYSSEE-Verfilmung des alternden Regiestars Fritz Lang (as himself) zu artifiziell, zu wenig publikumstauglich und zu schwer zu entschlüsseln. Darum heuert er den Drehbuchautor Paul Javal (Michel Piccoli) an, um das Skript umzuschreiben. Dieser nimmt, trotz einiger Vorbehalte und allgemeiner Leidenschaftslosigkeit zur Aufgabe, das Angebot an, da die Raten für eine neue Eigentumswohnung sein Budget spürbar schmälern. Von einer Sekunde auf die nächste reagiert seine liebende Ehefrau Camille (Brigitte Bardot) darauf mit Ablehnung – mehr noch: Mit Verachtung! Zu offensichtlichen Ursprüngen, wie der möglichen Konkurrenz zur entzückend bemühten Dolmetscherin und Assistentin von Prokosh, Francesca (Giorgia Moll), oder dem empfundenen Verkauf an den Playboy und Lebemann in Form des Produzenten, gesellen sich auch schwer erkennbare, tief unter der Oberfläche verwurzelte Gründe, die im klassischen Konflikt um Verständnis zwischen Mann und Frau ihre höchste Ausprägung finden.
Einleitend begegnen sich zwei Kameras. Es wird beobachtet. Die Kamera auf der Leinwand folgt einer jungen Dame, die kameratechnisch aufgezwungene Perspektive des Betrachters folgt der Szenerie. Dann treffen sich die Blicke! Der Zuschauer wird durch den schwer definierbaren, dunklen und auch geradezu gierigen Blick der Kamera unerträglich lang gemustert und in den Fokus rückt. Geht es um mich? Geht es um Film? Geht es um meine Einstellung zum Film? Als rahmendes Motiv schließt der Film erneut mit beiden Kameras und ihrem Blick, eine unter Regie Fritz Langs, eine als perspektivische Position des Betrachters auf das Geschehen. Beide haben die Blicke voneinander abgewandt und schauen parallel in die Ferne, um bei all der Verachtung und dem unausweichlichen, obwohl sinnlosen Tod (nach Fritz Lang) nach der Zukunft des einstmals so artifiziellen Mediums zu fragen.
Godards Film ist eine Liebeserklärung und ein Statement. Der Film in seiner kunstvollen, häufig kodierten Erzählweise verliert im Hinblick auf die etablierte und zunehmend stark nachgefragte Entertainmentfunktion an Magie. Nicht von ungefähr scheint DIE VERACHTUNG darum auch ein großes Vorbild von Tarantino gewesen zu sein, der in seiner persönlichen Liebeserklärung an das Kino in INGLOURIOUS BASTERDS (INGLOURIOUS BASTERDS, USA, Deutschland 2009, Regie: Quentin Tarantino, Eli Roth) gern und ausgiebig motivisch zitiert. Bereits die Vielfalt an europäischen Sprachen, die Sprachbarrieren zwischen den Charakteren und auch beim Rezipienten offenbaren, dürfte die auffälligste Parallele sein. Hinzu gesellt sich das Film im Film-Motiv, die liebevolle Gestaltung mit Filmpostern vergangener Tage in der Umgebung und ein Kino, in dem ein großer Vorbildfilm läuft. Im Fall von DIE VERACHTUNG handelt es sich um eine Impulszündung für die französische Nouvelle Vague, Rossellinis REISE IN ITALIEN oder auch LIEBE IST STÄRKER (VIAGGIO IN ITALIA, Italien, Frankreich 1954, Regie: Roberto Rossellini) mit Rossellinis damaliger Ehefrau Ingrid Bergman – bezeichnend, da sich das Skandalehepaar drei Jahre später, 1957, scheiden ließ, was für den symbolischen Wert für DIE VERACHTUNG nicht unerheblich ist.
Der Film erweist sich unter handwerklichen Gesichtspunkten als erwartungsgemäß meisterhaft umgesetzt! Die schwärmerische Beschreibung und Analyse einzelner Segmente der insgesamt hervorragenden Symbiose von Mise en Scène und Montage würde hier den Rahmen sprengen. Kurz verwiesen sei darum allgemein auf den insgesamt fantastischen Bildaufbau, die Farbkodierungen, die tollen Sets und die Vielfalt an inhaltlichen Kontrasten, beispielsweise zwischen schnellen Schnitten und endlosen Kamerafahrten, Ruhe und Lärm, langsam und schnell, statisch und bewegt, übermächtig und devot, Gegenwärtigem und Vergangenem etc.. Gekrönt und final abgerundet wird die filmische Komposition durch die Sequenzen auf Capri. Die Villa des Schriftstellers Curzio Malaparte erweist sich als perfekter Drehort. Wie eine Klinge durchschneidet sie die schroffe und karge Erscheinung der Felseninsel. Dabei bringt sie aber keine Symmetrie ins Bild, sondern erweist sich durch ihre markante Architektur als dynamisch in ihrer Asymmetrie. Die bekannte Welt gerät hier vollkommen in Bewegung und letztlich völlig aus dem Gleichgewicht. Unterstützend wirkt die schwindelerregende Höhe der Klippen und der Mangel an Sicherungen (bspw. Geländer), wodurch sich die Protagonisten permanent in schwankender aber nicht wahrgenommener Gefahr befinden. Dies dekonstruiert die Idylle durch die Anwesenheit von Unfallquellen und Suizidmöglichkeiten – wobei die unausweichliche Katastrophe schließlich wesentlich banaler daherkommt.
Letztlich bildet das Dach der Villa eine riesige Terrasse, zu der sich eindrucksvoll ausgeleuchtete Stufen hinauf bewegen. Sie bilden den Weg in den Olymp inmitten des offenen Meeres. Hier - und nur hier - verweilt am Ende der Regisseur einsam in seinem Handwerk, während die spielenden Figuren um ihn herum im Drama ihres Lebens ihr Glück selbst vernichteten.
Godard selbst gerät mit diesem Film in die Mühlen des angeprangerten Räderwerks aus Produktionsleitung und künstlerischer Freiheit, aus der Kontrolle über das Handwerk und der Kontrolle über die Finanzen. So musste er auf Betreiben seiner Produzenten und gegen seinen eigenen Willen eine beachtliche Anzahl von Nacktszenen mit der bildhübschen und zeitgenössisch sehr stark nachgefragten Brigitte Bardot drehen. Diese Szenen fallen aus dem sonst homogenen Werk heraus, unterstreichen aber den musischen Charakter der Figur nicht unerheblich. Die Erotik verleiht dem Gesamteindruck eine nicht zu unterschätzende Wirkung, auch wenn sie tatsächlich in diesem Ausmaß verzichtbar gewesen wäre (im Anbetracht von Brigitte Bardot genügt die Fantasie des Rezipienten vollkommen).
Insgesamt ist DIE VERACHTUNG eine dramatische Metapher, eine filmische Selbstreflexion Godards und ein Statement zu Form und Funktion des Films als Kunstwerk. Die Muse und die hohe Filmkunst werden hochgradig verkopft zum einzig Waren erklärt, simple Unterhaltung und ihre Personifizierung im Filmbusiness werden verteufelt. Sicherlich, hierdurch liegt die einseitige Perspektive des Künstlers vor, die auch dem Rezipienten, der nach Unterhaltung strebt, nur Verachtung entgegen bringt. Aber als Regisseur steht ihm diese Freiheit natürlich auch zu. Nach einer Gradwanderung, einem Kompromiss, wird hier nicht gesucht, hier gilt nur Hopp oder Top. Diese überspitzte Schwarz-Weiß-Malerei pendelt zwischen den Extremen, zwischen Hingabe und Ablehnung, zwischen Leben und Tod. DIE VERACHTUNG ist Godards persönliche Sicht auf die (Film-)Welt, die heute ruhig etwas differenzierter ausfallen könnte. Zu empfehlen ist der Film für analytische Betrachter aber allemal, kann man doch durch die Kamera in die Seele des Künstlers blicken. 8-9/10
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