Eine Kritik von Der Zerquetscher (Bewertung des Films: 6 / 10) eingetragen am 02.08.2017, seitdem 1689 Mal gelesen
Christopher Nolan, der britische Amerikaexport mit dem Image des erzählerischen Genies, hat es wieder einmal geschafft. Sein aktueller Kinofilm läuft vor allem in Großbritannien und den USA hervorragend an und hat erwartungsgemäß bereits am ersten Wochenende sein Budget wieder eingespielt. Und so manchen Unkenruf verstummen lassen. Denn es ist selbst für einen Mann des Formats von Nolan ungewöhnlich, ein Produkt ins Rennen zu schicken, beinahe ganz ohne die Schützenhilfe namhafter Stars. Natürlich ist Tom Hardy - vor allem in der angelsächsischen Welt - kein Unbekannter, doch im direkten Vergleich zu Galionsfiguren wie Leonardo DiCaprio oder Christian Bale eher ein Mann des rank and file. Andere tolle Darsteller wie Cillian Murphy oder Kenneth Branagh dürften der überwiegenden Mehrzahl der potentiellen Kinogänger noch weniger bekannt sein. Vom Rest der bombardierten Truppe ganz zu schweigen. Doch das Kalkül des Regisseurs von „The Dark Knight" (2008) geht hier auf. Sein Name ist inzwischen wohl geläufig genug und das Thema selbst bei den ehemaligen Kriegsgegnern im Westen ungleich präsenter als bei uns in Deutschland, wo neun von zehn auf der Straße belästigten Passanten (oder frech auf den Zahn gefühlten Studenten) vermutlich nicht einmal wüssten, wo Dünkirchen liegt. Unser nationales Trauma bricht sich eben völlig zu Recht eher Bahn bei den Schlagwörtern „Verdun" und „Stalingrad". Das der Briten aber beim schauerhaften Klang der Orte „Passendale" und „Dunkirk".
Wie vermarktet man eine militärische Niederlage? Bei einem Publikum, das durch Wonderwoman und Michael Bay gewohnt ist, von Sieg zu Sieg zu eilen? Indem man einen schmalen Grat wandert. Es gilt nämlich als Filmemacher mit intellektuellem Anspruch, einerseits den Krieg nicht zu glorifizieren, aber andererseits die traurige Notwendigkeit desselben herauszustreichen. Wenigstens im bequemen Falle fremder Aggression. Und so erleben wir junge Gesichter, die am Strand Frankreichs darauf warten, in die nahe Heimat verschifft zu werden. Geschlagen, entgeistert und (beinahe) ohne Perspektive. Doch sie warten zunächst vergebens. Denn der Royal Navy fehlen im Sommer 1940 die Mittel, gleichzeitig die Insel vor Hitlers Marine zu schützen und andererseits das eigene Expeditionskorps vom Festland und damit vor der sicheren Gefangenname durch die in jenen Tagen offenbar unbezwingbare Wehrmacht zu retten. Der Logik nach ist da also eigentlich nicht viel Platz an den flandrischen Gestaden für Pappkameraden der Propagandakompanie der Sorte „Private Ryan" oder den fliegenden Models aus „Pearl Harbor". Und doch kommt es, wie es zumindest im Film immer kommen muss - und wofür sich der Name Hans Zimmer verbürgt. Das Pathos schleicht sich am Ende in die Bilder. Subtiler und auf leiseren Sohlen als bei Steven Spielberg oder Roland Emmerich, aber die Parole lautet: Ohne Held kein Geld. Ohne todesverachtende Identifikationsfiguren kein Entertainment.
So erscheinen sie endlich am windgepeitschten Horizont. Die englischen Küstenbewohner, die auf Jachten und Fischerbooten über den Ärmelkanal schippern, um ihre Truppen und deren Verbündete vor dem Zugriff der Deutschen zu retten. Und das ist so elementar wie vorhersehbar. Ganz traut sich aber auch ein Christopher Nolan nicht, nur auf Zivilisten zu setzen bei der Rettung der Nation. Zumal angesichts der beinharten testosterongeladenen amerikanischen Konkurrenz. Also hält hier stellvertretend für die gesamte Royal Airforce Tom Hardy als Spitfire-Pilot den Union Jack senkrecht. Und er ist bei dem, was er tut, so gut, dass er das Versagen des Bodenpersonals dramaturgisch kaschiert. Nachdem er mehreren deutschen Fliegerassen die Kabinen um die Ohren geschossen hat, gelingt es ihm am Ende sogar, ganz ohne Sprit und nur im Gleitflug, einen im Sinkflug befindlichen deutschen Sturzkampfbomber zu zerstören. Und sowas haben nicht einmal die Jungs aus „Pearl Harbor" fertiggebracht. Bei solchen Zirkuseinlagen findet vermutlich Nolans Hollywood-Erfahrung ihren Weg in die Produktion, denn heute wie damals weiß der gewöhnliche Kinogänger mit defätistischem Arthouse-Antikriegskino nichts anzufangen, sondern will Spektakel. Übrigens hatten in Wirklichkeit die Briten während der einwöchigen Evakuierung ihrer 350.000 Männer (dem Kern der späteren Invasionsarmee) die Luftherrschaft über der Meerenge zwischen Frankreich und England inne, und es waren die deutschen Piloten, die wenigstens in der Luft gegen eine Übermacht antreten mussten. Bei allem Respekt für eine in großen Teilen unorthodoxe Inszenierung - sich ganz den Gepflogenheiten des modernen Sommerkinos zu entziehen, kann oder will also auch für Christopher Nolan keine Option sein. Und muss es ja auch nicht, angesichts des durchschlagenden Erfolgs seines Konzepts.
Dabei vermag es „Dunkirk", dessen Titel sonderbarer (oder bezeichnender) Weise fürs deutsche Lichtspielhaus nicht übersetzt wurde, durchaus als unkonventioneller Beitrag zum Thema Krieg zu punkten. Denn seine Serienhaftigkeit, die sich im abrupten Wechsel von einer spannenden Szene zur nächsten bekundet, wirkt im Kino ungewohnt und andersartig. Nolans narrativer Duktus verleiht dem Film zu Recht Aufmerksamkeit und darf, ganz nach Gemütszustand, als wohlige Abwechslung zum allgemeinen Einheitsbrei thematisch ähnlich gelagerter Produktionen verstanden werden. Um dieses Springen von einer zunehmend brenzligen Situation zur nächsten zu rechtfertigen, teilt der Regisseur seinen Film, ähnlich der Vier-Elemente-Lehre, auf in Erde, Wasser und Luft (Feuer gibt es natürlich auch genug). Da sind die armen Tommys auf der Mole, die auf ihren Transport in die Heimat warten. Da kommen die (meist) zivilen Retter per Schiff, und da wachen die fliegenden Kameraden am Himmel über ihre Brüder am Boden. Und während so die Chemie der Gemengelage auf originelle Weise in ein zeitliches Korsett gezwängt wird, tickt die Uhr. Nicht im übertragenen Sinne, sondern als (weiteres) filmkünstlerisches Element die ganze Zeit über.
An die derzeit so trendigen Serials erinnert auch, dass im Dünkirchen des Jahres 2017 nicht 350.000 Mann auf ihren Lift warten, sondern dass es eher so wirkt, als wären da nur 1000 Seelen am Strand. Die historische Dimension der Lage darzustellen, misslingt Nolan völlig. Das mag daran liegen, dass man nicht zu oft den Computer anwerfen wollte und die Kulisse des echten Dünkirchen (bei dem man gedreht hat) nicht ihrer authentischen Wirkung berauben wollte, doch bleibt hier, wie bei einer Serie, die Schlacht etwas kleinformatig. Wenigstens gehen so, und womöglich war das beabsichtigt, die meist unbekannten Gesichter, an die man sich erst gewöhnen muss, nicht in der uniformierten Masse unter, sondern bleiben sichtbar im Mittelpunkt.
Christopher Nolans „Dunkirk" ist einer dieser Filme, die sich um Spannung bemühen, obwohl das Ende (fast) jeder kennt. Dabei ist lobend zu erwähnen, dass wenigstens auf den ersten Blick kein Heldenepos inszeniert wird, sondern sogar Feigheit und Niedertracht als typisch menschliche Eigenschaften auch den Männern in den Reihen der Alliierten zugeschrieben werden. Das ist aufgeklärt und das ist nach all den intellektuell unauffälligen US-Produktionen der letzten Jahre eine Wohltat. Dass man allerdings vom Gegner nie etwas sieht, dass er damit beinahe ähnlich gesichtslos bleibt wie die von David Ayer und Spielberg durchs Gelände geschossenen Tontauben, muss hingegen nicht als ein reiner Akt der Schwerpunktsetzung akzeptiert werden. Die Katastrophe, die da vom Landesinneren auf die Belagerten zurollt, kann kein Gesicht und keine menschlichen Züge haben. Genauso wenig wie die Wirbelstürme und Erdbeben US-amerikanischer CGI-Desaster. Es geht in der Essenz nicht um einen fairen, versöhnlichen Film oder um sachliche Geschichte, sondern um ein auf die damals Betroffenen zugeschnittenes Drama und einen Beitrag zur nationalen Identifikation. Und der mag in den Zeiten des Brexit - aus englischer Sicht - geboten sein. Oder ist es reiner Zufall, dass gerade jetzt die ersten Churchill-Biopics in den Startlöchern stehen, den Inselbewohnern das Vertrauen in das europäische Festland zu vergällen? Wir wollen es einfach hoffen.
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