Eine Kritik von Vince (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 06.12.2019, seitdem 307 Mal gelesen
Alain Robak weiß die Gesetze und Freiheiten des niederen Science-Fiction- und Horror-Kinos ganz offensichtlich zu schätzen und gedenkt sie in vollen Zügen auszukosten. Diese Feststellung lässt sich bereits nach Sekunden treffen. Ein zunächst körperloser Parasit erhebt in der Eröffnungssequenz von „Baby Blood“ mit scheußlich verzerrter Vocoder-Stimme Anspruch auf den Posten des Narrators. Gift und Galle spuckend kommentiert er den Anbruch eines neuen Zeitalters, während über Archivaufnahmen eines ausbrechenden Unterwasservulkans eifrig in der Ursuppe der Erdgeschichte gerührt wird. Keine Zeichen der Zurückhaltung, als der Geltungsrahmen abgesteckt wird; um die Hosen an dieser Story zu befestigen, sind größere Kaliber nötig als irgendein Apartment in der französischen Provinz. Äonen evolutionärer Menschheitsentwicklung beispielsweise.
Somit stranden die filmischen Referenzen im Rekordtempo vor der Kamera und häufen sich zu einem Berg unentwirrbaren Gekröses. Angeregten Dialogen zwischen Wirt und Parasit durften wir bereits in „Elmer“ (1988) lauschen, während Cronenbergs früher Body-Horror in Form wühlender Körperbewohner reinkarniert („Shivers“, 1975), ebenso wie in der Realisation verstörender Geburtssequenzen („Die Fliege“, 1986). Selbst Andrzej Zulawskis schlackernde Tentakel ertasten sich unter Begleitung der wahnsinnigen Schreie Isabelle Adjanis ihren Weg in Robaks Welt („Possession“, 1981). Und wie könnte man den tückischsten aller Körper-Invasoren aus einer solchen Aufzählung ausschließen, den Chestburster aus „Alien“ (1979).
Obgleich natürlich auch weniger somatische Referenzen gezogen werden, allen voran vielleicht „Rosemarie’s Baby“ (1968), bindet sich Robak nicht unbedingt an deren weit gefasste Kontextualisierung in Form weiterführender Diskurse. Nur weil der Horror in „Baby Blood“ das Ergebnis einer quasi unterbewussten Empfängnis ist, wird nicht etwa wie bei Polanski gleich das Okkulte zum Teil des Spiels. Ursprünge sieht das Skript ausschließlich in einer Darwin’schen Logik vom Überleben des stärksten Organismus. Das egoperspektivische Sichtfeld einer eingesperrten Bestie, die irgendwo im Dschungel zum Gegenstand eines Geschäfts zwischen Großwildjägern und Zirkus-Mitarbeitern wird, unterstreicht vielmehr den wilden Ursprung allen Lebens, den Komponist Carlos Acciari übrigens über den gesamten Film immer wieder mit Motiven aus der traditionellen afrikanischen Musik anreichert. Peter Jackson würde zwei Jahre später am anderen Ende der Erdkugel mit dem sumatrischen Ratten-Affen aus „Braindead“ auf vergleichbare Weise das Exotische plündern, um die Sauerei mit Blutbeuteln und Gedärmen dann völlig auf die Spitze zu treiben.
Zugleich macht sich die gelebte Unabhängigkeit in einer unbändigen Lust am Filmemachen bemerkbar, die sich keinerlei Dogmen beugt. Obwohl „Baby Blood“ in tristen Farben gefilmt ist und im Kern wohl als psychologisches Drama bezeichnet werden muss, quillt er über vor experimentellen Kamerafahrten, ungewöhnlichen Schnitttechniken und natürlich den farbenfrohen Splatter-Tüpfeln als finale Garnitur. Naturalistisch in der visuellen Ausleuchtung, erfreut sich der Inszenierende immer wieder wie ein kleines Kind über den gelegentlichen Einbruch des Phantastischen in den tristen Alltag langweiliger französischer Dörfer. Gelegentlich trägt es den Übereifer so weit, dass der Tonfall sogar ins Komödiantische fällt, wenn beispielsweise arglose Passanten zufällig die Wege mit der blutdurstigen Furie kreuzen und ähnlich linkisch vor den folgenden Gemetzeln davonlaufen wie die Schlossbesucher in Polanskis „Tanz der Vampire“.
Alain Robak ist sicherlich kein Picasso seines Fachs; alles, was er sich einfallen lässt, haben Andere vor ihm bereits mit höherer Relevanz und andere nach ihm mit noch mehr Konsequenz umgesetzt. Die Natürlichkeit, mit der er seine persönliche Vision des invasiven Horrorfilms zu einem evolutionären Prozess erklärt, führt aber zu einem berauschenden, unberechenbaren und jederzeit aufregenden Filmerlebnis, das mal morbide, verstörend oder auch lächerlich ausfällt, in jedem Fall aber die Aufregung einer brausenden Fahrt unter freiem Himmel erzeugt.
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