Eine Kritik von Moonshade (Bewertung des Films: 6 / 10) eingetragen am 24.10.2019, seitdem 198 Mal gelesen
Eine Stephen-King-Verfilmung besprechen?
Das kommt mir inzwischen irgendwie ziemlich 90er vor!
Machen wir uns nichts vor, inzwischen sind King-Verfilmungen weniger fiebrige Highlights als vielmehr erwartbarer Vollzug, weil man den Namen (und ggf. den seines Sohnes Joe Hill) so gut vermarkten kann. Und das Spektrum reicht immer noch vom Blockbuster („ES“) bis zum Totalflop („Der Dunkle Turm“).
Dazwischen spielen Autoren und Regisseure aber auch weiterhin gern mit der gesamten Prosa Kings herum, sofern sich daraus ein Film machen lässt, seien es nun Kurzgeschichten, Novellen oder Romane – und wenn nichts da ist, denkt man sich inzwischen eigenes mit Querverweisen im Kingschen Universum aus („Castle Rock“).
Irgendwo dazwischen befindet sich auch „Im hohen Gras“ (In the Tall Grass), einer Novelle von 2012, geschrieben von Vater und Sohn und nicht unter den vielgenannten Favoriten ganz oben in der Liste. Mit Vincenzo Natali („Cube“) hatte man einen namhaften Regisseur gebucht – blieb eben nur die Frage, wie man aus der zweiteiligen Artikel-Novelle einen abendfüllenden Film machen könnte.
Mit vielen mysteriösen Bestandteilen, einem reizvollen Setting, aber eigentlich nur vier handelnden Figuren, bot sich die Vorlage nicht eben für einen Spielfilm an.
Aber Natali machte sich selbst an die Adaption und passte den Plot der Novelle an die Storyerwartungen an. Dazu gehörte dann auch gleich noch eine neue Hauptfigur, die das Geschehen anders strukturierte und von der relativ nahen Assoziation zu „Children of the Corn“ behutsam entfernte.
Die Ausgangssituation ist geblieben: ein Geschwisterpärchen, Becky und Cal, sie im 6.Monat schwanger, macht Halt irgendwo in der endlosen Weite von Feldern vor einer alten Kirche und hört aus einem nahen Feld mit „hohem Gras“ Hilferufe eines Kindes, welches sich verirrt hat. Die Suche in dem Feld hat aber ungeahnte Folgen, denn die beiden gehen selbst verloren in der Vegetation, in der Entfernungen täuschen oder nichts gelten und in dem ungeklärte Zeitsprünge stattfinden. Offenbar sitzt eine dreiköpfige Familie in diesem grünen Meer fest, in dem nur „tote Dinge nicht bewegt werden“ und als Orientierungspunkte dienen können.
Später kommt dann auch noch der Vater des Kindes, Travis, hinzu, der auf der Suche nach den beiden war – wobei der Schlüssel zu allem ein gewaltiger Monolith mit Einkerbungen zu sein scheint, vor dessen Berührung die meisten eher zurückschrecken.
Die Frage wird zunehmend zwingender, wie man aus dem Graslabyrinth wieder heraus kommt und wer von ihnen das ĂĽberhaupt will.
Zunächst mal: das Setting ist reizvoll und das größte Pfund, mit dem der Film wuchern kann.
Das endlose Grasmeer mit seinem Wind und Singsang, die matschigen Reihen, gesäumt von verlorenen und toten Dingen, die halb verfallene Kirche – das alles macht den Film groß, solange das Mysterium der Story noch unberührt ist.
Aber nach einer guten halben Stunde macht Natali eine Zäsur und einen Zeitsprung, indem er die neue Figur Travis, Beckys Freund, einführt, der nach den beiden sucht, da sie seit 2 Monaten verschwunden sind. Ab diesem Moment ist Natali gezwungen, den Plot in die Breite zu entwickeln, alle sechs Figuren zu vertiefen und dazu einen Gegenspieler unter ihnen einzuführen. Gleichzeitig müssen die ganzen offenen Fragen nach und nach ergänzt oder aufgeklärt werden, wobei Ersteres offenbar bevorzugt wurde, denn die Verwirrungen, hervorgerufen durch Zeitschleifen, werden eher noch mehr.
An diesem Punkt beginnt der Film dann, an Druck zu verlieren, denn von nun an (und besonders in der 101minütigen Langfassung) verstärken sich die Wiederholungen und mutieren leicht konstruiert wirkende Konflikte in der Gruppe (etwa inzestuöse Tendenzen und gewalttätige Attacken).
Das Ende beinhaltet dann wieder den Plot der Vorlage, allerdings mit einer neuen Wendung, da die Kingsche Schlussidee selbst fĂĽr seine Meisterschaft schon sehr abgedroschen ist.
Dennoch verliert der Film mit jeder Minute, in der er sich an Dramatik steigert, an Wirkung, weil Blut und Kannibalismus nicht tatsächliche Antworten ersetzen können. Ursachen und Herkunft der Vorgänge, die Existenz des Steins, die Absichten, die Kreaturen, die Wirkung des Feldes, die Zeitschleifen, das alles steht haltlos im Raum und muss akzeptiert werden. Mag das Nebulöse bei der Geschichte noch verstörend gewirkt haben, zwingt die Identifikation mit den Figuren – und hier nimmt Travis die aufklärende Funktion des Zuschauers ein – das Publikum, nach Antworten zu fragen, aber Natali scheut zugunsten eines Schlupflochs, da vieles der Vorgänge in der zweiten Hälfe (der durchdrehende Monolithenjünger, die schwangere Verirrte, das am Nachwuchs interessierte Gras, der Geschwisterkonflikt) klischeehaft vorbelastet sind.
„Im Hohen Gras“ verträgt seine Trimmung auf 90 Minuten sicherlich besser, da sich gerade in der notwendigen Steigerung der zweiten Filmhälfte zunehmend Längen verstecken, visuelle Täuschungen, Visionen und viel getrickstes Vegetationsbeiwerk inclusive, die den Film aber in aufklärender Hinsicht aber nicht mehr weiter bringen, als er zur Halbzeit schon war. Da sich der Plot eh nicht linear entwickelt, sondern in Wellen oder Kreisen, hilft das dem Spannungsaufbau nur bedingt, nicht zuletzt, da die Konflikte dann zunehmend von innerhalb der Gruppe kommen.
Wer also Natalis letzten Streich genießen will, sei sich bewusst, am besten nur auf Atmosphäre und Stimmung zu setzen, die wirklich bedrohlich und in der ersten Hälfte die Hauptwirkung erzielen, während der Hintergrund vernachlässigt werden muss, außer man akzeptiert einfach, was die Figuren so vor sich hin reden.
Kein Missgriff, keine Demontage, aber eben leider auch nicht der ganz große Wurf, der hier Natali gelungen ist, wobei er der – wie gesagt, vom Aufbau eher abgedroschenen – Story immerhin noch einige genießbare Akzente abgewinnen kann und das ist bei Kingschen Adaptionen schon ein beachtliches Ding. (6,5/10)
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