Eine Kritik von buxtebrawler (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 06.01.2021, seitdem 47 Mal gelesen
„Ich seh‘ einen Geist…“
Der Weimarer „Tatort“ ums ermittelnde Kripo-Duo Dorn (Christian Ulmen) und Lessing (Nora Tschirner) begann einst als an Feiertagen ausgestrahlte Besonderheit. Eine Übersättigung wie beim Münsteraner „Tatort“, der zweiten komödiantisch ausgerichteten Subreihe, stand nicht zu befürchten. An diese Tradition knüpft auch der im Februar und März 2020 – also kurz vor dem ersten pandemiebedingten Shutdown hierzulande – gedrehte und am Neujahrstag 2021 erstausgestrahlte elfte Fall des Teams an. Und doch bedeutet dieser von Stammautor Murmel Clausen geschriebene und wie der Vorgänger „Der letzte Schrey“ von Regisseurin Mira Thiel inszenierte Fall eine Zäsur, wenn nicht gar das Ende des Weimarer „Tatorts“.
„70 Prozent aller Morde werden innerhalb der Familie verübt.“
Am helllichten Tag wird ein Weimarer Juweliergeschäft überfallen und der für den Geldtransport zuständige Sicherheitsmann Ludgar Döllstädt kaltblütig ermordet. Die Kripobeamten Kira Dorn und Lessing verfolgen den zu Fuß in die Parkhöhle fliehenden Täter, es kommt zu einem Schusswechsel: Lessing wird von einem Streifschuss erwischt. Der Täter ist über alle Berge. Während Lessing sich verarzten lässt, ermittelt Dorn in alle Richtungen, wenngleich Kommissariatsleiter Kurt Stich (Thorsten Merten) von einem Raubmord ausgeht und nicht glaubt, dass mehr dahinterstecken könnte. Döllstädt war Angestellter des ausschließlich aus ehemaligen Strafgefangenen bestehenden Unternehmens „Geist Security“, dessen Inhaber John Geist (Ronald Zehrfeld, „Polizeiruf 110: Cassandras Warnung“) sich ein exquisites Hobby leistet: das Sammeln und die Zucht seltener Papageienarten, offenbar nicht immer ganz legal. Während Dorn noch sinniert, ob Döllstädt seinem Chef eventuell gefährlich wurde – immerhin hatte Lessing wenige Tage zuvor die Verwaltungsangestellte Maike Viebrock (Inga Busch, „Tatort: Verlorene Töchter“) zusammen mit Döllstädt und einem solchen Papagei im Zuge einer Verkehrskontrolle angehalten –, muss ein weiterer Geist-Angestellter sterben…
Die ersten Dialoge dieser Kriminaldramödie, in der man erstmals das gemeinsame Kind Dorns und Lessings sieht, sind leider etwas vernuschelt, was sich jedoch glücklicherweise schnell bessert – wenngleich es diesmal eher die Bildsprache dieses Who’n’whydunit? ist, die einen gefangen nimmt: Die Weimarer Parkhöhle avanciert – zunächst ungeahnt – zum Mittelpunkt dieses Falls, und sie sorgt nicht nur für beklemmende Szenen im Zuge der Verfolgungsjagd, sie umgibt auch eine geheimnisvolle, düstere Aura, die später zum Tragen kommen wird. Die häufig leicht der Realität entrückt wirkende Stimmung dieses Falls ist dann auch weniger dem Humoranteil geschuldet, sondern erklärt sich gegen Ende. Der zwischen Dorn und Lessing stattfindende Sprachwitz wurde heruntergefahren, die meiste Zeit ermittelt Dorn allein bzw. zusammen mit ihrem Vorgesetzten Stich, der aufhören will und einen Nachfolger sucht.
Dies wird zum Anlass für Situationskomik, wenn sich der einfältige Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey) Hoffnung auf den Posten macht, sowie für ein paar spaßige, aber auch bizarre Dialoge zwischen Dorn und Stich. Ein Teil der etwas schräg anmutenden Gespräche erklärt sich mit einer Wendung im letzten Drittel, die aus „Der feine Geist“ einen Mindfuck-Film macht, der die bisherige Erzählinstanz als unzuverlässig entlarvt und Teile des zuvor Geschehenen zum Einsturz bringt. In Kombination mit der Erörterung des Tatmotivs und damit der Täterüberführung wird nachvollziehbar, was zunächst irritierte, nicht richtig eingeordnet werden konnte oder gar verdächtig nach Drehbuchschwäche roch. Dass manch Populismus- und Lokalblatt diese Wendung bereits im Vorfeld verraten hatte, ist ein Unding und weiterer Tiefpunkt bestimmter Journaillen im Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit.
Dass er damit keinen Originalitätspreis gewinnt, dürfte Clausen klargewesen sein, weshalb er das Ganze mit ein wenig Augenzwinkern als eine Art Hommage an die Vorbilder konzipierte. Nichtsdestotrotz überwiegt in „Der feine Geist“ der ernste Grundton, im finalen Showdown ist dann auch Schluss mit lustig. Umso unpassender albern erscheint daher eine klamaukige Nebenhandlung wie die um Chef Stich, der zu selbigem bei der Viebrock kommt, und zwar bis zur Erschöpfung, da man – weshalb auch immer – wann immer man sich sieht, übereinander herfallen muss. Unverständlich, dass ausgerechnet ein solch müder Gag zu den Ermittlungen beiträgt, indem Dorn in Ruhe Hausfriedensbruch begehen kann, während ihr Chef mit Frau Viebrock knattert.
So gut Tschirner diesen „Tatort“ auch im Quasi-Alleingang meistert, so fraglich ist es, wie bzw. vielmehr ob es mit dem Weimarer Ableger nach derart radikalen Einschnitten überhaupt weitergehen wird. Sein besonderes Konzept um schräge Individuen, mit denen man mitfiebern und -sympathisieren konnte, während ein ewig Literatur zitierender Klugscheißer und seine schnippische Partnerin ihnen auf Spur kamen, schien sich zuletzt ohnehin abgenutzt zu haben oder aber man wollte in eine andere Richtung steuern. Mit „Der feine Geist“ hat man jedenfalls bewusst Brücken verbrannt. Sollte es das gewesen sein, ist ein würdiger, aber auch trauriger Abschied gelungen.
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