Eine Kritik von buxtebrawler (Bewertung des Films: 7 / 10) eingetragen am 13.01.2021, seitdem 61 Mal gelesen
„Mich kotzen Partys an!“
Der dritte Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ überhaupt datiert auf den 10.01.1971 (Erstausstrahlung) und etablierte eine neue Hauptfigur: den Zolloberinspektor Kressin, gespielt vom Österreicher Sieghardt Rupp („Bübchen“). Das Drehbuch verfasste niemand Geringerer als Wolfgang Menge, mit der Regie betraute man Peter Beauvais („Ein Mann namens Harry Brent“) – dessen einzige „Tatort“-Inszenierung „Kressin und der tote Mann im Fleet“ leider blieb.
„Ich saufe nun mal!“
Der Kölner Zollfahnder Kressin steuert im Zuge seines Urlaubs zusammen mit seinen Gespielinnen Tatjana (Eva Renzi, „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“) und Ulrike (Sabine Sinjen, „Die Ratten“) die Hansestadt Hamburg an, als er an Bord des Reiseschiffs beobachtet, wie der Reiseleiter Ben Canitz (Siegfried Flemm) mehrere Handbälle ins Wasser wirft, welche von der Bestatzung des Motorboots „Judith 3“ aufgelesen werden. Nachdem Canitz offenbar auch noch Kressins Kabine durchwühlt hat, stellt Kressin ihn zur Rede, jedoch ohne Ergebnis. Angelegt am Hafen sieht Kressin noch, wie sich Canitz mit zwei Männern trifft. Diese bringen Canitz zum Drogenschmuggler Aram (Günther Heising, späterer NDR-„Tatort“-Kriminalhauptmeister Henkel), doch aus weiteren Geschäften wird nichts: Canitz wird ermordet. Als Kressin das Foto des aus dem Kanal gefischten „unbekannten Toten“ am nächsten Morgen in der Tageszeitung identifiziert, informiert er telefonisch seine Abteilung, die ihm aufträgt, sich bei Kommissar Trimmel (Walter Richter) zu melden. In der Folge ermitteln beide unabhängig voneinander in diesem Fall, wobei sich die Wege mehrmals kreuzen – und der nassforsche Kressin in Gefahr gerät…
„Wenn Sie James Bond spielen wollen, passen Sie ja auf! Hier in Hamburg gibt’s nämlich Leute, die sind schon als Babys in die Boxschule gegangen!“
Kressin als machohafter Dandy und Womanizer, der es sich mit gleich zwei hübschen jungen Damen im Urlaub gutgehen lässt und quasi im Vorbeigehen auch noch einen Fall löst – einen solchen „Tatort“, eigentlich eine Art Crossover mit dem Hamburg Hauptkommissar Trimmel, dem Ermittler im allerersten „Tatort: Taxi nach Leipzig“, muss man natürlich mit reichlich Augenzwinkern schreiben und inszenieren, denn eigentlich kann man sich Kressin gar nicht als Zöllner vorstellen. Menge und Beauvais schien dies bewusst zu sein, wenngleich dieses Sujet zugleich stark an den damaligen jungen Zeitgeist im Zuge der sexuellen Revolution angelehnt ist. So frönt Kressin offenbar der Polyamorie, stellt infrage, ob Marihuana überhaupt gefährlich sei (hier jedoch geht es um mit Opium gestrecktes Zeug) und gibt einen ungebundenen, freiheitsliebenden Lebemann, der einen Kontrast zum etwas knittrigen, älteren Trimmel bildet – was wiederum in köstlich komödiantischen Dialogen aufgegriffen wird.
„Man kann auch auf der Elbe schmuggeln!“ – „Von Buxtehude nach Blankenese, oder wie?“
Ein Gerichtsmediziner erklärt die Bedeutung von Fingerabdrücken auch Toter, deren Identität bereits feststeht, und erläutert seine Methoden so detailliert, als gebe er Kochrezepte. Einerseits wird dieser „Tatort“ damit seinem Bildungsauftrag hinsichtlich Einblicken in die Arbeit von Polizei und Justiz gerecht, andererseits arbeitet man auch hier mit einer subtilen humoristischen Konnotation, um die Angelegenheit nicht zu trocken werden zu lassen. Das frivole Trio cruist anschließend mit dem Cabrio durch die Hansestadt, bevor sich Kressin auf eine gefährliche Schnüffelaktion begibt, die Beauvais schön im Dunkeln mit Wackelkamera hat filmen lassen und damit für Authentizität sorgt. Zu Besuch geht’s zum Bootsbesitzer (Ivan Desny, „Anastasia, die letzte Zarentochter“) der „Judith 3“, Herrn Sievers, der eine riesige Carrera-Bahn in seiner Wohnung aufgebaut hat. Jene Wohnung wird später zum Schauplatz einer lebensbedrohlichen Situation für Kressin werden. Viel Hamburger Wasserstraßenfolklore durchzieht die gesamte Handlung, die Originaldrehorte sorgen für ein norddeutsches Ambiente zwischen herausgeputzten touristischen Zielen und kriminellen Schmutz im Verborgenen. Gesoffen und geraucht wird bei den Beamten indes mehr.
„Der Kressin bringt einen völlig durcheinander!“
Erzählerisch und ermittlungstechnisch ist den Zuschauerinnen und Zuschauern wahrscheinlich eher als Kressin vermeintlich klar, dass der Tote sich absetzen wollte, doch in Bezug auf den Libanon als Reiseziel Canitz‘ nimmt der Fall eine Wendung – weshalb genau Canitz sterben musste, blieb mir zumindest aber auch nach der Zerschlagung des Drogenrings (oder zumindest seiner Hamburger Dependance) ein Rätsel. Möglicherweise ist mir da im oftmals leider etwas verhallten Ton etwas entgangen, eventuell ist dies aber auch Absicht, denn eine entscheidende Figur kann entkommen und sich somit dem Zugriff durch die Justiz entziehen. Wesentlich interessanter ist letztlich aber auch die Hauptfigur Kressin und ihre eigenwillige Vermengung von Privatem mit Dienstlichem.
Dieser dritte „Tatort“ ist ein sehr unterhaltsames Zeitgeistprodukt, das es mit den Moralvorstellungen eines Großteils seines Publikums aufnahm und kräftig provoziert haben dürfte, der heutzutage allerdings auch keinen Sexismusdetektor mehr passieren könnte, ohne dass dieser Alarm schlüge. „Gibt’s denn in dieser Stadt nichts Normales?“ – Doch, aber Hamburgs langweilige Seiten blieben Kressin und damit dem Publikum glücklicherweise erspart. Ein bisschen verrückt ist’s aber schon: Nachdem der erste „Tatort“ es einen Hamburger Kommissar in die DDR verschlagen ließ, machte im dritten ein Kölner ein Fass in Hamburg auf…
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