Eine Kritik von McKenzie (Bewertung des Films: 8 / 10) eingetragen am 01.07.2006, seitdem 819 Mal gelesen
Der Film, mit dem sich der japanische Regisseur Takashi Shimizu schlagartig bei Genre-Freunden weltweit bekannt machte, "Ju-on- The Grudge" und später das ebenfalls von ihm inszenierte US-Remake stachen nun nicht gerade in Sachen Innovation hervor (hatte man doch permanent das Gefühl, einen weiteren "Ring"-Abklatsch vor sich zu haben), wohl aber durch eine gekonnte, durchaus nicht ungruselige Inszenierung.
Mit "Marebito" entfernt sich Shimizu sowohl von der inhaltlichen Blutleere als auch der überproduzierten Machart der "Grudge"-Filme. Der Film wurde innerhalb kürzester Zeit mit einem lächerlichen Budget und offenbar auch ohne große Einschränkung in der Gestaltungsfreiheit abgedreht. Und angesichts dieser Produktionsumstände ist die Leistung, die der Regisseur hier vollbringt durchaus beachtlich.
Der Kameramann Masuoka ("Tetsuo"-Regisseur Shinya Tsukamoto) filmt im Untergrund von Tokyo einen Mann, der sich selbst das Auge aussticht. Bei der Suche nach der Ursache von dessen panischer Angst stößt er auf einen mysteriösen Schacht, der ihn in ein labyrinthisches System von Tunneln führt. Schließlich stößt er auf eine merkwürdig helle, riesige Höhle, die wie eine verlassene Stadt wirkt. Hier findet er eine nackte junge Frau angekettet. Er nimmt sie mit nach Hause und pflegt sie. Doch erst nach einigen Tagen, in denen sein "Gast" nichts zu sich genommen hat, bemerkt er, was "F", wie er sie getauft hat, wirklich braucht. Masuoka, der von Unbekannten, die offenbar auf der Suche nach "F" sind gejagt wird und verzweifelt versucht die Frau am Leben zu halten, trudelt unaufhaltsam dem Wahnsinn entgegen, den er gesucht hatte...
Ein großes Plus ist, das man nicht klar definieren kann, ob es sich hier um eine übernatürliche Geschichte handelt. Richtig fantastisch wird es nie, wohl aber enthält die Geschichte einige irreale Elemente und lässt sich vom rationalen Standpunkt her ganz sicher nicht als glaubwürdig einstufen doch mit Geistern hat man es hier eigentlich nicht zu tun. Der Horror wird in diesem modernen Großstadt-Märchen auf wesentlich subtilere Weise erzeugt als noch in "Ju-on". Von Anfang an fühlt man sich durch seine Monologe unangenehm intim in die Einsamkeit und Depression von Masuoka ein. Dies ist übrigens doppelt interessant, da Shinya Tsukamoto, der den Kameramann charismatisch verkörpert, nachgesagt wird, das er auch privat eine pessimistische und introvertierte Person sein soll. Einsamkeit kann, wird sie richtig in Szene gesetzt (man denke an Michelangelo Antonioni) für deutlich mehr Unbehagen sorgen als so mancher Schock-Effekt. Doch das ist erst der Anfang. Neben einigen eleganten Schocks (Masuoka lässt das Band von dem Selbstmörder langsam ablaufen, auf einmal bemerkt er, das dieser kurz direkt in seine Richtung sieht- angsterfüllt) konzentriert sich der Film im ersten Drittel ganz auf den Charakter Masuokas. In dem durch Arbeitslosigkeit und resignierendes Philosophieren lethargisch gewordenen Kameramann erwacht die Neugier. Er will herausfinden, was diese panische Angst hervorgerufen hat, nicht nur das, er möchte sie am eigenen Leib spüren.
In verrauschten und unscharfen Bildern aus Masuokas Kamera verfolgen wir dessen Abstieg in die Gewölbe. Und die Kamera, die größtenteils sehr natürliche Beleuchtung und die Musik machen diese Sequenz zu einem wirklich beängstigenden Abstieg in die Hölle der Unsicherheit.
Mit dem Fund von "F" betritt Shimizu allerdings einen ganz anderen, weitaus makabereren Pfad. Ab jetzt steht die eigenartige Beziehung zwischen der stummen, animalisch agierenden "F" und Masuoka im Mittelpunkt. Die Ungewissheit über den Hintergrund, aus dem "F" stammt und die enge Wohnung von Masuoka, in der sich all das abspielt sorgen für eine beklemmende Vorahnung auf die verstörende Eskalation dieses Drahtseilaktes. Zusätzlich würzt Shimizu diesen zweiten Teil seines Filmes auch noch mit einigen nicht ganz schlüssig integrierten und etwas aufgesetzten Schrecken wie etwa die Frau, die sich als "F’s" Mutter ausgibt und Masuoka verfolgt oder der immer wieder auftauchende untote Selbstmörder. Sicherlich stehen diese Figuren für Masuokas schizophrene Züge, die man allerdings etwas geschickter ausarbeiten hätte können.
Hier liegt auch der Hund begraben: Denn Shimizu lässt den Zuschauer verwirrt zurück, es wird nichts aufgedeckt, erklärt oder zu Ende geführt. Dies kann als Schwäche betrachtet werden, lässt aber andererseits wiederum jedem die Möglichkeit offen, seine eigene Interpretation zu formen was man innerhalb der heutigen Filmindustrie, die ihre Kundschaft permanent für blöd verkauft angenehm aufnimmt. Zumindest habe ich dies nicht als Defizit betrachtet.
So zerstört die Schlusspointe zwar einen Teil der vorher sorgsam aufgebauten, sanften Perversität in der Atmosphäre, gibt dem Film jedoch wiederum einen
SPOILER
leicht inzestuösen Anstrich.
SPOILER ENDE
Zudem ist die Schlusssequenz so erschreckend und pessimistisch wie in den wenigsten japanischen Genre-Filmen, die mir bisher untergekommen sind. Ein Moment, den man nicht vergisst.
FAZIT: Ein sehr gelungener, fesselnder Horrorfilm mit Tendenz zum Drama. Atmosphärisch und erzählerisch dicht, trotz seiner leicht fantastisch angehauchten Story extrem realistisch und mehr an psychologischer Spannung und morbidem, leisen Schrecken interessiert als an großangelegten Schockeffekten. Und dieses Ziel hat Takashi Shimizu gemeinsam mit dem herausragenden Shinya Tsukamoto auf jeden Fall erreicht. Nur die Freunde von Gekröse und blutigem Schleim werden hier nicht auf ihre Kosten kommen, auch wenn das Cover der übrigens sehr gelungenen DVD von Alamode Film ein FSK 18-Siegel trägt.
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